Eine Träne aus Edelstahl

Eine Träne aus Edelstahl wird poliert

Die Feinbearbeitung vom Feinschliff bis hin zum Polieren, der bis etwa einen Meter großen Einzelteile wird von Spezialisten vorgenommen.

Foto: Manfred Schulze

SCHMEES fertigt nicht nur komplexe Einzelstücke für die Industrie, sondern auch Kunstwerke wie diese Träne aus Edelstahl.

Paris, New York, Bilbao und Katar – überall in der Welt stehen die silbern glänzenden Objekte von verschiedenen Künstlern, die eines gemeinsam haben: Ob als abstrakte Form von bis zu 6 m Höhe wie die Träne aus Edelstahl, oder als figürliche Skulptur – die Arbeiten sind aus poliertem Edelstahl und wurden in Pirna bei Dresden gegossen.

Ein moderner Kubus reckt sich am nördlichen Rand des Elbtales in den Himmel. Hinter den raumhohen Fenstern blickt Johann Unglaub, Managing Director der Edelstahlwerke Schmees, bis auf die Konturen der Frauenkirche – oder auch auf die Modelle aus Styropor auf seiner Fensterbank. „Nein, wir sind nicht die Künstler, wir sind nur die Dienstleister von Künstlern“, wehrt er angesichts der zahlreichen Vasen und Skulpturen im Eingangsbereich des Unternehmens ab. Denn schließlich liefert das Unternehmen, das schon vor mehr als 25 Jahren den Betrieb von der Treuhand übernahm und inzwischen hier auch seinen Hauptsitz hat, vor allem Gussteile an den Maschinenbau: Vom Gehäuse eines Verdichters über große Armaturen bis hin zu tonnenschweren Teilen für die Energiebranche wird hier fast alles in Stahl gegossen, was der Kunde wünscht.

In der Regel sind es Einzelbestellungen, die kleinsten Teile nur 10 kg, die größten bis zu 10 t schwer. Massenware kommt hier nicht in die Gießform. „Wir sind eine hoch technisierte Manufaktur“, sagt Unglaub.

Im Prinzip ähnlich wie in der Formel 1 ( Johann Unglaub, GF Werk Pirna)

„Es ist vom Prinzip her ähnlich wie in der Formel 1: Man leistet sich diese immense Herausforderung, profitiert aber von der dort geforderten Spitzentechnologie“, sagt der Manager zu seiner inzwischen fast ein Fünftel des Geschäftes ausmachenden Sparte Kunstguss.

Vor allem die Möglichkeiten des 3-D-Druckes für den Formenbau, der Einsatz alternativer Materialien für den traditionellen Gießerei-sand, aber auch die technischen Herausforderungen beim Modellieren der häufig nur gezeichneten oder noch nicht perfektionierten Künstlerentwürfe am Computer haben es Johann Unglaub angetan. Das ist wie jetzt bei einer Auftragsarbeit für Edward Fuglø für ein Mahnmal auf einer winzigen Insel der Färöer-Gruppe nicht anders.

Fuglø möchte für die dort über die Jahrzehnte vom Meer verschlungenen Seefahrer und Fischer einen runden Edelstahltropfen aufstellen, der je nach Sichtweise eine Träne aus Edelstahl oder auch ein Tautropfen sein kann und der an der Seite symbolisch Strukturen von einem Vogelflügel zeigt. „Wir haben dafür einen Entwurf als Modell bekommen, dann aber erst die exakte Form mit einem 3-D-Scan berechnet und die Form gestaltet“, erzählt Unglaub.

Der Künstler aus dem Norden sei natürlich immer einbezogen, auch in die viele Wochen dauernde Herstellung der Form, den Guss selbst und die besonders aufwendige Bearbeitung der Oberflächen. Die Gießerei verfügt über einen Lichtbogenofen und Induktionsschmelzöfen, als Rohstoff werden geschredderte Metallstücke genutzt, deren Zusammensetzung für die jeweilige Charge durch Zusatzstoffe und eine Veränderung der Legierung variiert werden kann. Auch der Guss der Kunstobjekte erfolgt hier.

Die nachfolgende Feinbearbeitung vom Putzen bis hin zum Feinschliff, das Verschweißen der bis etwa einen Meter großen Hälften oder Einzelteile und dem Polieren werden allerdings in einer separaten Werkstatt von Spezialisten vorgenommen.

Hier werkeln meist junge Männer mit einem fremdländischen Akzent wie Sergej Suschenzow. Angefangen hat er bei Schmees als ganz gewöhnlicher Gießereifacharbeiter, aber dass er ein Faible für besonders feine Oberflächengestaltung hat, fiel den Chefs schon nach kurzer zeit auf.

Inzwischen arbeitet er, wie die anderen Kollegen des kleinen Teams, seit etlichen Jahren hier und sorgt dafür, dass die Skulpturen, Vasen oder auch ein Altar für die Dresdner Hofkirche ohne Makel ausgeliefert werden können. Hier gibt es nicht den Zeitdruck von Arbeitstakten, Sorgfalt und Geschick stehen ganz oben an, aber natürlich bleibt der Auslieferungstermin im Blick. Suschenzow nimmt seinen Handschleifer, um ein paar Stellen an der inzwischen zu einem Stück zusammengefügten Träne aus Edelstahl zu glätten. „Das ist für mich Alltag, aber ein sehr schöner“, sagt er und setzt das Gerät neu an.

Bis Ende September soll alles fertig sein, dann kommt eine Spedition, die das Kunstwerk sorgsam wie ein rohes Ei in eine Kiste verpackt und auf die Reise nach Norden schickt. Dort wird der Aufstellplatz inmitten des winzigen Dorfes bereits vorbereitet, die wenigen Insulaner freuen sich schon auf die silbrige Träne aus Edelstahl, die nur ihnen und ihren verschollenen Angehörigen gehören wird.

Quelle: VDI Nachrichten Ausgabe 36 vom 6. September 2018
© Artikel und Fotos: Manfred Schulze

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